Macht Geld Sinn – Der Geldkongress 2011 in Berlin
Veranstaltungsrezension von Markus Henning
Unter dem Motto Macht Geld Sinn – Der Geldkongress 2011 war für den 12. März ins Glashaus der Arena Berlin geladen worden. Als Veranstalter zeichnete mit Global Change Now e.V. eine Kampagnenvereinigung junger Internet- und Multimedia-Aktivist:innen, denen es im Vorfeld gelungen war, 14 meist freiwirtschaftliche Organisationen und Verbände als Mitinitiatoren zu gewinnen. Trotz eines happigen Eintrittspreises von 50,- € war die Publikumsresonanz erfreulich groß. An die 300 Besucher:innen trafen im Laufe des Tages ein, um insgesamt 16 Referent:innen aus der Geld- und Bodenreform-Szene auf sich wirken zu lassen.
Die analytische Tiefenschärfe, mit der jene ihre Sicht auf das herrschende Wirtschaftssystem und die Möglichkeiten seiner Überwindung entfalteten, dürfte manches Aha-Erlebnis ausgelöst haben. Auch aus einem anarchistischen, an grundsätzlicher Herrschafts- und Staatskritik ausgerichteten Blickwinkel boten diese freiwirtschaftlich inspirierten Vorträge durchaus erhellende Anknüpfungspunkte.
Eine solide Basis für die nachfolgenden Referate und Diskussionen bereitete Helmut Creutz mit der Präsentation seiner wichtigsten Erkenntnisse aus drei Jahrzehnten Forschungstätigkeit. Hiernach besteht ein struktureller Zusammenhang zwischen hortbarem Geld und Zins auf der einen Seite, zunehmender Kluft zwischen Arm und Reich sowie ökologisch verheerendem Wachstumszwang auf der anderen Seite. Das von Silvio Gesell (1862-1930) herkommende „Freigeld“-Konzept will diesen monetären Teufelskreis sprengen: Die Erhebung einer permanenten Umlaufsicherungsgebühr soll das Geld den Waren gleichstellen, es unter Umlaufzwang setzen und zugleich die Bedingungen schaffen für eine effektive Regulierung seiner Umlaufmenge und -geschwindigkeit. Erst unter dieser Voraussetzung kann der Zins als Knappheitspreis des Geldes durch eine Sättigung des Marktes dauerhaft gegen Null absinken.
In der kapitalistischen Geldordnung hingegen – dies belegte Helmut Creutz eindrucksvoll – führt der Zinseszins-Mechanismus zu einem exponentiellen Wachstum der Geldvermögen in den Händen weniger. Damit einher geht für die übrigen Teile der Gesellschaft ein spiegelbildlicher Anwachs ihrer Verschuldung. Denn alle Ersparnisse und Geldvermögensüberschüsse müssen über zinsbelohnte Kredite wieder in die Wirtschaft zurückgeführt werden, um den Geldkreislauf geschlossen zu halten. Da das Wachstum der Wirtschaft mit dem der Geldvermögen schließlich nicht mehr Schritt halten kann, müssen auch Privathaushalte und insbesondere die Staaten mit erhöhten Kreditaufnahmen die sonst entstehenden Nachfragelücken schließen.
Eskalierende Staatsverschuldung stellt so gesehen eine kapitalistische Systemnotwendigkeit dar. Nicht von ungefähr wird ihr sozialer Druck immer spürbarer. Bernd Senf prägte hierzu den denkwürdigen Satz: „Die Staatsbürger heißen Staatsbürger, weil sie für die Schulden des Staates bürgen.“ Schwerpunktmäßig behandelte Senfs Vortrag die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken, ein in Freiwirtschaftskreisen heiß umstrittenes Thema.
Kontroverse Ansichten artikulierten sich auch beim Ausblick auf die konkreten Folgen einer freiwirtschaftlichen Geldreform: Wolfgang Berger betonte, dass der Wegfall des Zinsanteils in Schuldendienst und Produktpreisen zu einer allgemeinen Kaufkrafterhöhung führen wird, welche die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ermögliche. Für Klaus Willemsen dagegen sind Vollbeschäftigungsverhältnisse einem Leben in Freiheit und Würde weit zuträglicher, als es ein BGE jemals sein könne. Viel entscheidender sei zudem, dass ein wachstums- und verteilungsneutrales Reformgeld den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft erst möglich mache.
Eine Art Synthese beider Positionen präsentierte Alwine Schreiber-Martens mit ihrer konzeptionellen Ausweitung des Gesellschen „Freiland“-Gedankens auf sämtliche nicht durch menschliche Arbeit vermehrbaren Naturgüter. Eine Verbindung von ökologisch gebotener Ressourcenschonung mit dem Gerechtigkeitsgedanken sei nur marktkonform zu leisten auf dem Wege gezielter Gebührenerhebung am Anfang der Produktionsketten (z.B. Material-Inputsteuer, Versteigerung zeitlich befristeter Nutzungsrechte) und direkter Rückausschüttung als ökologisches Grundeinkommen an alle Bürger.
Jedem Menschen sei auf diese Weise ein gleiches Anrecht auf die schonende Nutzung der Naturressourcen gesichert. Durch die freie Wahl seiner Konsummuster könne er selbst bestimmen, wie viel netto vom ökologischen Grundeinkommen in seiner Tasche ankommt. Zur Alternative einer staatlichen Verteilung knapper Güter bezog Alwine Schreiber-Martens kritisch Position: „Gleiche Zuteilung ist ungerecht, denn die Menschen sind verschieden.“
Eine Stellungnahme, die dem Leitbild einer vom Kapitalismus befreiten Marktwirtschaft verpflichtet ist und auch von anarchistischer Seite unterschrieben werden könnte.
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Wera Wendnagel: Mariannes Vermächtnis oder wie mir meine Mutter die Freiwirtschaft vererbte, Sulzbach/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, 2010, ISBN 978-3-89741-304-7, 368 Seiten
Rezension von Markus Henning
Zeit- und bewegungsgeschichtliche Einblicke besonderer Art eröffnet Wera Wendnagel in ihrem Buch Mariannes Vermächtnis oder wie mir meine Mutter die Freiwirtschaft vererbte.
Der autobiographische Bezug aus Perspektive einer unmittelbar Beteiligten macht die Geld- und Bodenreform greifbar als soziale Bewegung lebendiger Menschen mit ihren Stärken, ihren Schwächen, ihren amüsanten wie tragischen Seiten. Daneben führt Wera Wendnagel (geb. 1931) mit literarischer Leichtigkeit in Grundlagen und mögliche Aktualität der Gesellschen Theorien ein und erinnert an eine wichtige Station des Zusammenwirkens von Freiwirtschaft und Anarchismus.
Hierfür steht insbesondere ihr Onkel, Hans Timm, entschiedener Anhänger von Max Stirners Individualanarchismus, während der 1920er Jahren in Silvio Gesells engstem Mitarbeiterkreis tätig und führender Aktivist im weltweit ersten Freigeld-Experiment, der „Wära“.
In seinem Stirn-Verlag und bei Herausgabe der Zeitschrift Letzte Politik erfährt Hans Timm bis Anfang der 1930er Jahre entscheidende Unterstützung durch Weras Eltern, Marianne und Rudi Höll. Beide schließen sich dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) an und engagieren sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Nach seiner Verhaftung kommt Rudi Höll 1938 in Gestapo-Haft ums Leben. Marianne muss für zwei Jahre ins Gefängnis, ihren Überzeugungen bleibt sie treu.
In zahllosen Diskussionen über Freiwirtschaft, Anarchismus, Lebensreform und freie Liebe gibt sie diese im Lauf der nächsten Jahrzehnte an ihre Tochter weiter. Heute ist Wera Wendnagel Ehrenvorsitzende der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO).
Die einfühlsame Menschen- und Tierliebe, die Kraft und der Humor, mit denen die Autorin ihre bewegte und bewegende Lebensgeschichte durchlaufen und gemeistert hat, sind beeindruckend. Dieses Buch strahlt einen ungeheuren Lebensmut aus, der einfach guttut. Es ist unbedingt lesenswert!
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Werner Onken: Geld und Natur in Literatur, Kunst und Musik, Kiel: Gauke GmbH. Verlag für Sozialökonomie, 2010, ISBN 978-3-87998-460-2, 197 Seiten (zzgl. 87 Seiten Materialanhang)
Rezension von Markus Henning
Wie wurden Geldwesen und privates Grundeigentum in ihrer Bedeutung als soziale Machtbastionen künstlerisch verarbeitet? Mit dieser Fragestellung begab sich Werner Onken auf einen freiwirtschaftlichen Streifzug durch die Kulturgeschichte. Seine neueste Buchveröffentlichung versammelt die Erträge einer Spurensuche, deren historisch weit gespannter Bogen von der griechischen und römischen Antike bis in die Gegenwart des Jahres 2010 reicht.
Fülle, inhaltliche Erschließung und sozioökonomische Kommentierung des zusammengetragenen Materials machen die Lektüre zu einem echten Bildungserlebnis. Bei der grundsätzlichen Subjektivität, die jedem ästhetischen Genuss zu eigen ist, liegt es in der Natur der Sache, dass die Interpretationen im Einzelfall durchaus auseinandergehen können. Der Leser bzw. die Leserin mag vielleicht nicht bei jedem der Fundstücke aus Literatur, bildender Kunst und Musik die Einschätzung des Autors teilen. Das sollte aber auf keinen Fall den positiven Eindruck dieser auch methodisch vorwärtsweisenden Arbeit trüben.
Im Übrigen finden auch Werke aus dem libertär-sozialistischen und anarchistischen Lager – etwa von Leo Tolstoi, Ernst Toller, Rolf Engert, Erich Mühsam oder George Grosz – ausführlich Erwähnung, ebenso wie Silvio Gesells Zukunftsbild einer aufblühenden, die Menschen und Völker friedlich verbindenden Kultur.
In diesem Zusammenhang arbeitet Werner Onken einen radikalen Begriff kultureller Emanzipation heraus: Alle Kunstschaffenden sollen die Möglichkeit haben, sich in Freiheit und wirtschaftlicher Selbstständigkeit allein aus ihrer inneren Mitte heraus zu entfalten, ohne länger von privaten Mäzenen oder staatlicher Kulturfinanzierung abhängig zu sein.
An diesem Anspruch müssen sich auch die Gesellschaftsentwürfe des Anarchismus messen lassen.
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Pierre-Joseph Proudhon: Theorie des Eigentums, übersetzt v. Lutz Roemheld mit einer Einleitung v. Gerhard Senft, Kiel: Gauke GmbH. Verlag für Sozialökonomie, 2010, ISBN 978-3-87998-455-8, 186 Seiten
Rezension von Markus Henning
Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) kann zu Recht als Klassiker der modernen Sozialphilosophie bezeichnet werden. Bis heute ist er wichtiger Impulsgeber für ein ganzes Spektrum von sozialen Bewegungen, darunter auch für den Anarchismus, den Syndikalismus und die Freiwirtschaft.
Es mag an der Dominanz marxistischer Ideologie gelegen haben, dass dem deutschsprachigen Publikum traditionell immer nur ein kleiner Teil von Proudhons Gesamtwerk unmittelbar zugänglich war. Unter denjenigen, die diesem Mangel seit Jahren in beharrlicher Publikationstätigkeit quellenorientiert und wissenschaftlich fundiert entgegenarbeiten, sind an erster Stelle Lutz Roemheld und Gerhard Senft zu nennen.
Auch das jüngste Ergebnis ihrer Kooperation – die Veröffentlichung von Proudhons Theorie des Eigentums im Verlag für Sozialökonomie – dürfte die Proudhon-Forschung hierzulande wieder ein gutes Stück nach vorne bringen. Mit Lutz Roemhelds Übertragung aus dem Französischen liegt diese wichtige Schrift nun erstmals komplett in deutscher Sprache vor.
In seiner Einleitung verdeutlicht Gerhard Senft ihre ideengeschichtlichen Zusammenhänge und praktischen Bezüge zu aktuellen Reformkonzepten. Wie Senft betont, war Proudhon nicht allein genialer Nationalökonom und libertärer Tauschsozialist, sondern Wegbereiter einer neuen Kultur der Teilhabe, Kooperation und gegenseitigen Anerkennung.
Sozialreform in diesem Geist bedeutet immer auch, hierarchische Strukturen durch individuelle Selbstbestimmung zu ersetzen, anstelle eines genormten Daseins soziale Vielfalt und die Freiheit des Experiments zu entfalten.
(Diese Sammelrezension wurde erstmals veröffentlicht in: espero. Forum für libertäre Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, Berlin / Neu Wulmstorf, Jg. 18 / Nr. 68 – Juni 2011, S. 22-26)