Dirk Löhr: Kommunale Erbbaurechte und bezahlbares Wohnen, Vortrag auf dem Fairconomy-Webinar der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO e.V.) am 12. März 2022
Veranstaltungsrezension von Markus Henning

Zwei gegenseitig sich verstärkende Megatrends werden unser Leben auf absehbare Zeit bestimmen: Die Erderhitzung infolge des menschengemachten Klimawandels und die Urbanisierung durch anhaltenden Zuzug in globale Ballungszentren. Wie machen wir unsere Städte fit für diese Dynamik? Was sind die sozialökonomischen Voraussetzungen ihrer Zukunftsfähigkeit?
Jede Stadt ist ein lebendiges und hochgradig komplexes System, das für ein gelingendes soziales Miteinander unterschiedlichen Leitwerten folgen muss. Es geht um Handlungsfreiheit und Partizipation, um Gerechtigkeit und gute Versorgung, um zugänglichen Wohnraum, um Ästhetik und um Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Anforderungen. Ein sich selbst überlassener und nur auf wirtschaftliche Effizienz getrimmter Markt reicht hierfür nicht aus. Insbesondere bei der kommunalen Bodennutzung, auf welcher wesentliche Güter der Daseinsvorsorge beruhen, müssen die Marktkräfte eingeschränkt und zielgerichtet kanalisiert werden.
Das ist die These von Dirk Löhr (geb. 1964). Er ist Professor für Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier / Umwelt-Campus Birkenfeld und hat sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit bereits vielfach um eine zeitgemäße Weiterentwicklung freiwirtschaftlicher Denkansätze verdient gemacht.
Eines seiner Spezialgebiete ist das kommunale Erbbaurecht. Über dessen Bedeutung als möglicher Baustein nachhaltiger Stadtentwicklung referierte Dirk Löhr am 12. März 2022 in einem öffentlichen Online-Vortrag, organisiert von der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO e.V.).
Das Erbbaurecht wurde auf Bestreben der Bodenreformbewegung im frühen 20. Jahrhundert sowohl in Deutschland, als auch in Österreich und in der Schweiz eingeführt. Mit ihm sollte die öffentliche Hand in die Lage versetzt werden, den sozialen Verwerfungen entgegenzuwirken, die aus dem Privateigentum am nichtvermehrbaren Naturgut Grund und Boden resultieren. Kern ist die eigentumsrechtliche Trennung von Bodeneigentum und Bodennutzung. Das Erbbaurecht umfasst das Recht, gegen Zahlung eines jährlichen Erbbauzinses auf einem fremden Grundstück Bauwerke zu errichten, zu bewirtschaften oder zu bewohnen.
Es verschafft dem Erbbaurechtsnehmer Eigentum am Bauwerk und hat für ihn auch darüber hinaus einen eigenständigen ökonomischen Wert, ist frei handelbar, übertragbar, vererblich und beleihbar – und das alles ohne Finanzierungsaufwand für den Grundstückserwerb.
Dem Erbbaurechtsgeber hingegen, also dem Eigentümer des Grundstückes, eröffnen sich nicht nur wirtschaftliche Vorteile (risikolose regelmäßige Einnahmen), sondern über die konkrete Ausformung des Erbbaurechtsvertrages auch weitgehende Gestaltungs- und Steuerungspotentiale.
Die zielgerichtete Entfaltung genau dieser Potentiale kann aus dem Erbbaurecht ein wichtiges Instrument der Stadtplanung machen. Allerdings – und an diesem Punkt setzte die Argumentation von Dirk Löhr an – braucht es dafür von kommunaler Seite aus eine strategisch ausgerichtete Bodenvorratspolitik sowie Mut und Willen zu sozial-ökologischen Konzeptvergaben.
Der Bodenmarkt ist dem Wohnungsmarkt vorgelagert. Empirische Langzeituntersuchungen haben zutage gefördert, dass der dramatische Preisanstieg bei großstädtischen Gebäuden, Wohnungen und Mieten während der letzten Jahrzehnte zu 80% auf Bodenpreissteigerungen zurückzuführen ist. Um ganz pragmatisch Druck aus dem heiß gelaufenen Markt zu nehmen, ist eine Entkapitalisierung von Grundstücken, also ihre Überführung aus privatem in kommunales Eigentum erforderlich. Ein von Bund und Ländern aufgelegter Bodenfonds könnte die städtischen Finanzen für entsprechende Interventionen stärken. Hinzutreten müsste eine deutliche Ausweitung der kommunalen Vorkaufsrechte.
Als „Best Practice“-Beispiel für diesen Zusammenhang verwies Dirk Löhr auf den Stadtstaat Singapur, der seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1965 seinen Eigentumsanteil am städtischen Boden von etwa 40% auf mittlerweile fast 100% steigern konnte.
Hieran könnten sich auch deutsche Kommunen orientieren, um den Grund und Boden von seiner Rolle als individuelle Handelsware, Kapitalgut und Spekulationsobjekt zu befreien. Wie aber soll im Anschluss die Vergabe von Bodennutzungsrechten über das Erbbaurecht konkret ins Werk gesetzt werden? Die Abwägung dieser Frage leitete Dirk Löhr mit einer Intervention in den freiwirtschaftlichen Diskurs ein.
Bekanntlich hatte Silvio Gesell (1862-1930) im Bodenreform-Teil der von ihm begründeten Freiwirtschaftslehre eine spezifische Art von Pächtersozialismus konzipiert. Individuelle oder kollektive Nutzungsrechte am vergesellschafteten Grund und Boden sollten demnach im Meistbietungsverfahren verpachtet werden. Diesbezüglich forderte Löhr ganz entschieden zu einem konzeptionellen Weiterdenken auf.
Der Höchstpreis als einziges Vergabekriterium ist schlichtweg zu eindimensional, um den sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Weitaus geeigneter wären Konzeptvergaben, für die es vielfältige Möglichkeiten gibt.
Beispielsweise könnte die Kommune zu Beginn des Vergabeverfahrens nicht nur sämtliche wirtschaftliche Parameter festlegen (Erbbauzins; Vertragslaufzeit; gesonderte Förderdarlehen; etc.), sondern je nach Bedarf auch soziale, ökologische und architektonische Vorgaben machen (z.B. bezahlbares Wohnen; soziale Infrastruktur; ausreichende Entsiegelung von Grünflächen; Ausbau von Frischluftschneisen; Verwendung klimagerechter Baustoffe; etc.). In der Auktion selbst würden die privaten oder genossenschaftlichen Investoren dann in einen Wettbewerb um das diese Vorgaben am besten erfüllende Konzept treten.
Für eine zukunftsfähige Handhabung ist in erster Linie Kreativität gefragt, und das nicht nur von Seiten der Städte und Kommunen. Es geht um organisatorische und förderrechtliche Rahmenbedingungen. Es geht aber auch um eine adäquate Weiterentwicklung des Erbbaurechtes selber. Als juristische Konstruktion ist es immer noch auf dem Stand seiner Einführung vor gut 100 Jahren.
Aber das muss ja nicht so bleiben. Wo immer Menschen über sich hinauswachsen, wird es möglich, Dinge zu verändern. Das gilt natürlich auch für Instrumente kommunaler Bodenpolitik. Der Vortrag von Dirk Löhr machte Lust, sich einzumischen und mit dieser Veränderung zu beginnen.