Zeitschrift für Sozialökonomie, Jg. 56 / 200. Folge, Juni 2019, Hildesheim: Verlag für Sozialökonomie / Rettberg-Gauke Verlags- und Medienservice, ISSN: 0721-0752, 92 Seiten
Rezension von Markus Henning
Der freiwirtschaftliche Denkansatz ist auf einem guten Weg. Im öffentlichen Ringen um drängende Strukturkonflikte wurden inhaltliche Grundsteine gelegt, auf denen sich langfristig aufbauen lässt. Leuchttürme der Zuversicht, denen die Zeitschrift für Sozialökonomie (ZfSÖ) ihre neueste Ausgabe widmet.
Die Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ steht für tagespolitische Intervention, die den Blick auf das Ganze wahrt und dadurch Möglichkeitsräume schafft. Sie will die anstehende Reform des Grundsteuerrechts als Weichenstellung nutzen, die das gesamte Besteuerungssystem auf ein neues, zukunftsfähiges Gleis setzt. Von Arbeit und Konsum soll die Steuerbelastung auf Grund, Boden und Naturnutzung umgeschichtet werden. Angelehnt an Henry George (1839-1897) tritt „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ schon seit 2012 für eine Bodenwertsteuer ein. Der Ansatz zielt auf Abschöpfung der Bodenrenten, die den Grundeigentümern heute als leistungsloses Einkommen zufließen. Ob der Vorschlag sich gegen deren Phalanx durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Feststellbar ist schon jetzt, dass die bisherigen Anstrengungen alles andere als vergeblich waren. Ulrich Kriese bilanziert, in welch beachtlichem Maße die Debattenkultur für Fragen der Bodenreform geöffnet werden konnte (S. 3-8).
Dass neue Resonanz die soziale Phantasie beflügelt, zeigt auch der Beitrag von Daniel Mühlleitner (S. 9-14). Er stellt ein Modell für nachhaltige Raumplanung vor, bei dem EU-Emissionsrechtehandel und die Freiland-Idee Pate standen: Versteigerung von kommunalen „Flächenausweisungszertifikaten“ mit anschließender Rückverteilung der Versteigerungserlöse an die Kommunen nach Anzahl ihrer Einwohner. Steuerungsmöglichkeiten des gesamtgesellschaftlichen Verbrauchs von Grund und Boden verbinden sich mit einer verursachergerechten Kopplung von Nutzen und Kosten. Ein praktikables Anreizsystem für den schonenden Umgang mit einem nicht vermehrbaren Naturgut!
Plausible Umsetzbarkeit ist die Grundlage von Überzeugungskraft und sozialer Akzeptanz. Das gilt auch für die zweite Grundsäule der Freiwirtschaft: Die Geldreform. Das allgemeine Tauschmittel soll durch eine im zeitlichen Ablauf fällige Gebühr unter Umlaufzwang gesetzt und so den nichthortbaren Waren gleichgestellt werden.
Thomas Seltmann entwickelt eine technische Lösung, die sich in bestehende Strukturen von Handel und Banken möglichst einfach integrieren ließe (S. 15-22). Banknoten sollen mit einem maschinenlesbaren Ablaufdatum versehen werden. Nach Überschreitung sind sie zwar weiterhin als gesetzliches Zahlungsmittel gültig, verlieren aber quartalsweise einen bestimmten Prozentsatz ihres Nennwertes.
Gangbare Wege zu negativ verzinstem Bargeld werden seit etwa zwei Jahrzehnten auch von akademischer Seite diskutiert. Noch ist das weitgehend auf den angelsächsischen Sprachraum begrenzt, verspricht langfristig aber auch hierzulande neue Mittstreiter. Hauptziel der heutigen „Negativzins-Ökonomen“ ist das geldpolitische Krisenmanagement. Um in einer beginnenden Rezession die Wirtschaft durch weitere Zinssenkungen stimulieren zu können, muss die „Nullzinsgrenze“ durchbrochen werden. Das ist aber solange nicht möglich, wie das Bargeld eine risikolose Umschichtungsmöglichkeit für Überschussreserven bzw. Geldanlagen darstellt. Erst wenn Bargeldhortung dauerhaft mit Kosten belegt wird, können auch Guthabenzinsen und Anleiherenditen unter null gehalten werden. Beate Bockting zeichnet diesen jungen, dynamischen und vielversprechenden Diskurs in seinen wichtigsten Stationen nach (S. 23-43). Zu ihnen gehören die Wiederentdeckung des geldpolitischen Keynesianismus, die Annäherung an das Freigeld-Konzept von Silvio Gesell (1862-1930), aber auch die Adaption des von Robert Eisler (1882-1949) entworfenen Modells für ein duales Währungssystem.
Ferdinand Wenzlaff vertieft in seinem Beitrag die „Eisler-Lösung“ als Instrument zur Etablierung negativer Realzinsen (S. 44-54). Ansatzpunkt ist eine Entflechtung der Geldfunktionen: Als Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel eröffnet die Zentralbank eine offizielle „virtuelle Parallelwährung“ und verzinst sie mit einer kontinuierlichen negativen Rate. Über die Marktprozesse wird sich ein Wechselkurs zum Bargeld herausbilden, das weiterhin als Zahlungsmittel fungiert. „Bargeld kann seinen Nominalwert behalten, wird aber kontinuierlich abgewertet, was am Ende einer negativen Verzinsung im Sinne der Geldhaltesteuer gleichkommt“ (S. 51).
Implizit ordnungspolitische Ausblicke eröffnen die beiden folgenden Artikel. Johann Walter diskutiert ein Szenario, in dem das Bargeld als regionale Komplementärwährung gestärkt wird: Noten und Münzen könnten per öffentlichem Transfer direkt an die Kommunen ausgegeben werden (S. 55-64). Dem schließt Max Danzmann eine analytische Gegenüberstellung von staatlicher Geldpolitik und privaten Kryptowährungen an (S. 65-74).
Deutlich wird die konzeptionelle Herausforderung, der sich eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung stellen muss: Wie können marktwirtschaftliche Selbstorganisation und politische Steuerung so gegeneinander austariert werden, dass individuelle Selbstbestimmung und freie Vereinigung sich mit einer gerechten Wohlfahrtsproduktion ohne Macht und Privilegien verbinden können?
Für dieses Leitbild hat Fritz Andres (1946-2019) ein Leben lang gewirkt. Ein Nachruf benennt die drei Denkrichtungen, an denen er sich als Autor, Referent und Organisator orientierte: Freiwirtschaft, Anthroposophie und Ordoliberalismus (S. 75-78).
Auch Bernard Lietaer (1942-2019) wird in Zukunft fehlen. Seine Veröffentlichungen hatten maßgebliche Bedeutung für die Regiogeld-Bewegung. Auch hieran wird in einem Nachruf erinnert (S. 79 f.).
Mit einem umfangreichen Rezensionsteil (S. 80-91) endet die 200. Folge der ZfSÖ. Nach 56 Jahren regelmäßigen Erscheinens ist das ist ihre letzte Printausgabe.
Fortan wird eine Online-Publikation auf http://www.sozialoekonomie-online.de abrufbar sein. Dass die ZfSÖ auch in dieser Form als wissenschaftliche Stimme erhalten bleibt, wäre von großer Bedeutung. Gerade in einer Zeit, in der die Denkansätze der Geld- und Bodenreform zunehmend anschlussfähig werden!
Redakteur Werner Onken stellt seinen Ausblick unter ein Motto von Vaclav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gelingt, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal ob es gelingt“ (S. 2).
(Diese Rezension wurde erstmals veröffentlicht in: Rundbrief, Nr. 19/2 – August 2019, hrsg. v. den Christen für gerechte Wirtschaftsordnung und der Akademie für Solidarische Ökonomie, S. 17 f.)